6 October 2013

Mit ohne

Das sind die neuen Partymomente. Beim Halten des ersten Biers erzählt einer, dass er einen veganen Monat einlegen und sein Essverhalten ändern will. Beim zweiten Bier – ich zähle mit – bin ich mitten in der Diskussion über das beste Sport-App, während ich mir das dritte Bier hole, höre ich wie Laufzeiten abgeglichen werden und Männer die Diät entdecken.

11 July 2013

Waahr

Ich war 13 Jahre alt, als ich meine erste »Tempo« in den Händen gehalten habe. Das war im Sommer 1995. Auf dem Cover war Kate Moss zu sehen, wer sonst, und die Titelstory lautete: »Wie besiege ich meinen Chef«. Ein Thema, das einen mit 13 Jahren trifft.

8 July 2013

Hinter der Milchglastür

von Vincent Schmidt, Hong Kong 2005

Das ist der letzte Text einer dreiteiligen Asien-Serie.

Hong Kong betrete ich durch die Hintertür. Nicht über den Flughafen, nicht auf dem Landweg aus China, sondern zu Wasser.

26 June 2013

Tasse von Gewicht

Beim Minusvisionen-Umzug verloren gegangen, jetzt wiedergefunden:

Rumänien, Ukraine, die Türkei und China sind Staaten mit unterschiedlichen geographischen und politischen Angaben. Grenzüberschreitend verbindet sie die Herstellung eines Typs Tasse, ein massenhaft angefertigtes Produkt, das sich meistens durch folgendes auszeichnet: Standard.

23 June 2013

Das weggeputzte Grün

Die Erinnerung ist ein Bild. Sie verblasst langsam, meistens unmerklich, aber kontinuierlich, indem Details zwischen den kräftigen Rändern im geschaffenen Bild verloren gehen, die Farben sich verändern und die Schärfe des verlorenen Inhalts einem diffusen Gefühl weicht, das man beim Halten oder Erinnern verspürt.

Doch wenn bei dem einen Produkt ein Blick auf das Thermostat und die Restauration helfen kann, verbleiben im Kopf irgendwann nur Sequenzen, Momente, Augenblicke, die einem Traum gleichen, da man sich weder an den Anfang noch an das Ende erinnern kann.

10 June 2013

Vietnam, dance!

von Vincent Schmidt, Hanoi 2005

"Vietnam, dance!" ist der zweite Text einer dreiteiligen Asien-Serie.

Von Bangkok fliege ich nach Hanoi. Vorbei an ausrangiertem Militär-Schrott rollt die Maschine der Thai Airways auf das neue Terminalgebäude des Flughafens zu. Um die Mittagszeit herrscht hier kaum Betrieb. Ich zweifle, ob auf diesem Flughafen überhaupt je Betrieb herrscht. Das Lächeln der thailändischen Stewardess beim Aussteigen entlässt mich in eine andere Welt. Gelächelt wird ab jetzt nicht mehr. Schon die Polizisten vor der Flugzeugtür, oder sind es Soldaten, schauen grimmig und mustern jeden Ankömmling mit abschätzigem Blick. Sie tragen grüne Uniformen, wie alle Polizisten in kommunistischen Ländern und Deutschland.

5 June 2013

Hochgeschwindigkeitstrasse

Der Blick auf die Welt ist die Sicht aus dem Fenster. Sei es auf Magrittes Staffelei im Zimmer, auf der eine Landschaft zu sehen ist, die eine Doppelung des Weltausschnittes vor dem Fenster zu sein scheint.

Oder sei es die - durch ein grau-transparentes Rollo - versperrte Sicht auf die mit 269 km/h vorbeiziehende Landschaft neben einer Hochgeschwindigkeitstrasse.

Stundenlang flirrt die Umwelt wie ein Op-Art-Bild aus sich abwechselnden weißen und farbigen Linien um mich herum. So - als würde das Licht vibrieren. So - als würden zweihundert Bildschirme gleichzeitig flimmern. Dem Betrachter wird plötzlich übel - ganz schummrig, denn die Information zahlreicher Einzelbilder dringt zu zahlreich und zu schnell in seinen Kopf vor – überfordert ihn.

Er hat den Wunsch, das Andere aus der übergeordneten Perspektive im Ganzen zu überschauen, sei es sitzend im hölzernen Panoramahaus, stehend im Heißluftballon oder online durch Google Street View klickend. Doch es ist keine Überschau aus souveräner Position mehr, kein genussvolles Beherrschen des Gegenstandes, der dem Auge unterworfen ist, wir sehen keine Schlachtszenen mehr oder idyllische sowie erhabene Fernlandschaften in der Blicktotale von 360 Grad, sondern nur uns selbst auf Monitoren, hundertmal gebrochen und verkleinert bis wir uns in der Mitte des Bildschirmes im Unendlichen verlieren.

4 June 2013

Sexy und natürlich

Die weibliche Brust blitzte - wenn man sich diesem billigen Kalauer bedienen darf - in den letzten Wochen auf ungewohnte Art in den Medien auf. Neben den sonst boulevardesken "Busenblitzern" stand an unangefochtener Spitze Schauspielerin Angelina Jolie, die mit ihrer Brustamputation eine kurze Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen der Krebsvorsorge losgetreten hatte. Der Akt selbst als Ausdruck einer radikalen Ästhetik der Selbsterfahrung blieb, bis auf einen Kommentar von Johanna Adorján in der FAS, unhinterfragt.

22 May 2013

Frankfurt ist überall

von Vincent Schmidt, Bangkok 2005

Als ich Vincent 2005 kennengelernt habe, war er gar nicht da. Er existierte nur in der Rede von jemanden. Ein Umstand, der sich häufig wiederholen sollte. Die Abwesenheit wurde zur Normalität. Manchmal hätte man glauben können, es gebe ihn gar nicht. Doch irgendwann kommt jeder von einer Reise zurück.
Ich habe mit Vincent bereits über Ost-Timor, Somaliland, Irakisch-Kurdistan und Pakistan gesprochen. Nun habe ich ihn gebeten, ein paar Reisenotizen für Minusvisionen aus dem Archiv zu holen. "Frankfurt ist überall" ist der erste Text einer dreiteiligen Asien-Serie.

Licht an. Zuerst der Blick auf die Uhr, kurz nach fünf in der Früh, dann durchs Zimmer. Beigetöne deuten an, dass sie einmal weiß waren, das Holz des Schreibtisches scheint einst dunkler und in seiner Farbigkeit intensiver gewesen zu sein. Wenn ich barfuß eine Weile über den Teppich laufe, sind meine Fußsohlen schwarz. Das "Asia Hotel" ist verblichener Luxus. Die Einrichtung erzählt von einer Zeit, die längst vergangen ist. Schreibtisch, Kommode, Wandschrank, Kingsize-Bett, zwei Ledersessel um einen niedrigen Holztisch – alles in diesem Zimmer ist im gleichen Stil gefertigt, Zufälligkeiten sind ausgeschlossen. Die Harmonie zwischen Einrichtung und Raumsituation ist perfekt. Für jedes Möbelstück scheint nur ein einzig denkbarer Aufstellungsplatz zu existieren.

18 May 2013

Finsterworld

Finsterworld bei Almondefilm

Kinostart: 17. Oktober 2013

16 May 2013

Andere Zeiten,
andere Räume

Arbeiten geht überall. Das ist für immer mehr Menschen ein Untergang, da Anfang und Ende ununterscheidbar werden. Für andere ist es eine Verheißung, da der White-Collar-Rhythmus für sie nutzlos ist und sie es schaffen, aus dem immer und überall, den richtigen Ort und die entscheidende Zeit herauszufiltern – weil sie es je nach Beschäftigungsform dürfen, können und müssen.

1 April 2013

Escapism


© Tobias Bärmann

27 March 2013

Askari

»Darüber wird nicht gesprochen. Sie können über Sex ohne Weiteres reden, aber über Geld nicht. Es gibt zwei Dinge, über die man nicht reden kann: Gott oder Nicht-Gott, das ist keine Frage, da kann man drüber reden, aber das eine ist das Geld, und das andere ist die Schweizer Armee«, so Max Frisch. Es wird dennoch gefragt: nach »finanziellen Autobiografien«, nach Honoraren, Vorschüssen, Preisgeldern oder nach dem Cent pro Wort. Wenn der Autor dann doch auf eine Karriere zurückblicken kann, heißt es ganz erwartungsvoll: »Was haben Sie mit dem Geld für Ihr erstes Buch gemacht?«. Keiner fragt, woher es kam, das Geld, denn auch das war lange Zeit keine Frage.

Woher kommt also jetzt das Geld für das erste Buch, das Geld für ein Buch, für einen Roman, für eine Erzählung, für eine Geschichte »über die Reise des jungen Mahjub, der als Kindersoldat am Horn von Afrika für den deutschen Kaiser kämpft und 1929 nach Berlin übersiedelt, wo er 15 Jahre leben wird«. Von Freunden, Bekannten, Freunden-von-Freunden, und vielleicht all jenen, die bei der Idee, ein Buch, das weder Krimi, Romanze, Skandal noch Selbsthilfe ist, über Crowdfunding zu realisieren, nicht verwirrt die Augenbraue heben, weil es sich doch »nur um Text« handle und diese Polaroid-Sache oder diese Design-Arbanduhrhalterungen viel bessere Projekte waren.

Askari from ingomocek on Vimeo.

Askari auf wemakeit.

26 March 2013

Über Null

1100. Das könnte der Versuch sein, den Notruf zu wählen, wobei man sich beim Tippen der ersten Null plötzlich zum bewussten Verwählen entscheidet und den Hörer auflegt, da der Softballschläger in Erinnerung gerufen wurd. 1100 ist hier ebenfalls kein Binärcodesabschnitt, sondern die Forderung von Hannah Horvath in der Serie "Girls", die sie in der ersten Folge an ihre Eltern stellt. 1100 sind 1.100 Dollar. Der geforderte Betrag, monatlich ausgezahlt, soll, so ihr Wunsch, sie die nächsten zwei Jahre über die Runden bringen. 1.100 Dollar sind das viel zu geringe Maße der Dinge, dessen frotzelige Bescheidenheit dennoch einen entscheidenden Wert birgt: Freiraum für die Arbeit am eigenen Buch und am Ich, was so viel bedeutet wie unangepasst bleiben und nach Bushwick fahren, so lange es noch geht, sagt man sich. Es ist die Abkehr von der Lohnarbeit und somit von der Portier-, Post-, Patentamt-, und Prokuristen-, oder etwas moderner, Coffeeshop-Agentur-Romantik, die auch nur in die Idiotie des Feierabends führt. Die Bitte wird abgeschmettert.

11 February 2013

Stadtaspekte


Stadtaspekte #01 mit einem Text von Stefanie Roenneke zu einer Bilderreihe des Hamburger Fotografen Tobias Bärmann

9 February 2013

Mokka

Wenn 2016 die Produktion in den Opelwerken in Bochum eingestellt wird, braucht sich die Stadt um eines nicht zu kümmern: die Umbenennung einer Nahverkehrslinie. Als 2008 das Nokiawerk geschlossen wurde, bestand eine bittere Nachwehe darin, der »Nokiabahn« einen neuen Namen zu verleihen. Man entschied sich damals für »Glückaufbahn«. Der politische Kampf um einen Produktionsstandort und seine Folgen gipfelte in einem Bürgerwettbewerb. Bald werden es nur ein paar Haltestellen seien, die fehlen werden.

7 February 2013

The Chamber

Erik Niedling with Ingo Niermann: The Chamber

Mar 9 - Apr 13, 2013
Opening: Saturday, Mar 9, 7-10pm
Exile

1 January 2013

Ist der Kater zeitgemäß?

"All it comes down to is this: I feel like shit but look great.", stellt Patrick Batemen fest, als er nach einer durchzechten Nacht in einer Konferenz sitzt. Wenn man einem Nivea-Werbespot Glauben schenken darf, scheint es heutzutage vielen Angestellten so zu gehen. "Frisch aussehen, egal wie lang der Abend war", heißt es vielversprechend. Der Kater wird weggecremt und somit auch eine wichtige Erfahrung. Denn ein Kater entschleunigt. Ein Kater entkoppelt Geist und Körper vom Alltag. Ein Kater schärft alle Sinne auf unbekannte Weise. Alles wird neu erfahren: der Kaffee, das Brötchen, die Fasern der Decke, der Sound zu Radios, der Geruch des Anderen. Vorrausetzung ist, dass man sich ohne Scham und ohne schlechtes Gewissen dem Sein hingibt und den Kater zelebriert: mit Tee, schlechten oder guten Filmen, Erinnerungen, Gesprächen, einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Eine positive Einstellung zum Kater predigt auch Tom Hodgkinson in "Anleitung zum Müßiggang". So kommt er zu dem Schluss: "Wie bei allen Aspekten des Müßiggangs sollten wir uns dem Druck setzen, alles in unserem Leben abzulehnen, was nicht in das Paradigma des Produktiven, Vernünftigen und Arbeitssamen passt, das die Gesellschaft und wir selbst uns aufdrängen. Richtig leben zu lernen kann einschließen, dass wir lernen, den Kater zu lieben."