18 March 2012

"Visualisierung von Politik"

Ende Juli 2012 werden die Olympischen Sommerspiele in London eröffnet. Von diesem Ereignis kündet bereits der Umbau des East-End-Viertels oder die Positionierung von riesigen Olympischen Ringen auf der Themse, die während der Spiele neben einem Kriegsschiff der Royal Navy schwimmen werden. Beispiele für das stete Spannungsfeld zwischen sportlichem Wettkampf, propagierter Transnationalität, staatlichem Prestige und - vielleicht - einer noch unbekannten Gefahr. Mit dem Ereignis geht folglich die Frage einher, wie und für welche politische Botschaft sich London inszenieren wird. Das Ereignis ist Grund genug, einen Blick auf die deutsche Olympia-Geschichte zu werfen. Eva Maria Gajek von der Justus-Liebig-Universität Gießen diskutiert in ihrer Dissertation "Kulturelle Re-Integration? Die Olympischen Spiele von Rom (1960) und München (1972) als transnationale Medienereignisse" die Frage, wie Italien und die Bundesrepublik nach 1945 die Olympischen Spiele zur politischen Selbstdarstellung nutzten. Ein Gespräch über nationale Selbstbilder, Terrorismus und Fernsehen, das IOC als Dynamo für politische Prozesse und die weinende Katharina Witt.

Durch die Olympischen Spiele 1972 wollte sich die BRD als post-faschistischer Staat in der globalen Öffentlichkeit neu positionieren. "Die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik 1968 formulierte, '[m]it der Bündnispolitik [...] schafft man sich Bundesgenossen, mit der Handelspolitik Geschäftspartner und mit der Kulturpolitik – Freunde.'" Wurde dieses Anliegen erfüllt, oder hat der neue Entwurf durch das Attentat einen zu starken Bruch erfahren?

Ob der Bruch zu stark war, ist eine gute Frage, die relativ schwer zu beantworten ist. In der Erinnerung an die Spiele dominiert aber nicht nur das Attentat, sondern auch der Imageentwurf der modernen Bundesrepublik, der sich im Design und der Architektur zeigte. Das eine Narrativ kann im Rückblick nicht ohne das andere gelesen werden. Schon allein, da es die Idee des heiteren, fröhlichen und freundlichen Deutschlands erforderte, die Sicherheitsmaßnahmen einzuschränken. Hohe Zäune und bewaffnetes Sicherheitspersonal auf dem Gelände passten nicht in das anvisierte Konzept, ermöglichten den Terroristen auf der anderen Seite aber einen leichteren Zugang zum Gelände.

Ich habe die Frage gestellt, weil ich der Auffassung bin, dass in der innerdeutschen Berichterstattung nach den Spielen, die Akzentuierung immer auf das Attentat gelegt wird.

Absolut. Nicht nur die Berichterstattung, auch die vielen Remediationen wie Dokumentationen, Bücher und Ausstellungen zeigen die starke Konzentration auf das Attentat. Dabei mitzudenken ist natürlich, dass das Attentat des Schwarzen September für die globale Erinnerung an den transnationalen Terrorismus eine wichtige Rolle spielt. Das Attentat verstanden die Zeitgenossen nicht nur als einen Angriff auf den israelischen Staat, sondern als einen Angriff auf die Weltgemeinschaft. Die Bilder des ausgebrannten Hubschraubers, der Mann mit der Maske, der von dem Balkon blickt sind transnationale Ikonen, die zu Terrormetaphern geworden sind. Sie prägen das visuelle Gedächtnis an die Spiele genauso wie die Bilder vom Münchner Olympiastadion und seinem Zeltdach, die für das nationale deutsche Gedächtnis konstitutiv sind.

Glaubst du, dass die Olympischen Spiele aufgrund des Spannungsgefüges zwischen den olympischen Idealen, und dem Wettkampf zwischen Körpern, Völkern, Nationen und Staaten scheitern?

Richtig. Die Spiele scheitern nicht nur an der Instrumentalisierung von Außen, also an einer Indienstnahme von Staaten oder Terroristen. Sie scheitern auch an ihrem eigenen Selbstentwurf. Das IOC versteht sich als eine unpolitische Institution, die Spiele sollen Ort der internationalen Begegnung sein, ein politikfreier Raum, in dem eine Weltgemeinschaft konstruiert wird. Die Statuten halten fest, dass ein Wettkampf zwischen Individuen, nicht zwischen Nationen stattfindet. Gleichzeitig dominieren Fahnen und Hymnen den Ablauf des Ereignisses, sie zeigen die starke Präsenz der Nation. Dieses Spannungsverhältnis war bereits seit ihrer Neubegründung angelegt. Coubertin entwickelte seine Ideen für eine Wiederbelebung der Spiele in einer Zeit, in der erste transnationale Kooperationen und Organisationen entstanden und gleichzeitig das Bekenntnis zum jungen Nationalstaat einen wichtigen Bestand in Europa hatte. Des Weiteren versteht sich das IOC als eine Institution, die politische Prozesse anwerfen kann. Die Annäherung der ehemaligen postfaschistischen Staaten an ihre Kriegsgegner oder die deutsch-deutsche Mannschaft als Auflösung der harten Fronten des Kalten Krieges wären zwei Beispiele, die deutlich machen, wie das IOC ganz bewusst in das zeitgenössische Weltgeschehen eingriff und die Spiele somit in keiner Weise den gewünschten unpolitischen Gegenraum darstellen konnten.

Also sind die Spiele immer nur Mittel zum Zweck, um ein außenpolitisches Bild zu stärken und innerpolitische Strukturmaßnahmen zu ergreifen?

So absolut würde ich es nicht formulieren. Jedoch es ist ohne Frage klar: Nationales Prestige ist ein wichtiger Motivationsstrang für den Gastgeber, Olympischen Spiele auszurichten. Kein Land würde Milliarden investieren, nur um ein Friedensfest zu veranstalten. Olympische Spiele eröffnen in erster Linie die Möglichkeit, internationale Anerkennung zu erlangen. Was damals für die postfaschistischen Staaten wie Italien, Japan und Deutschland wichtig war, gilt heute für die BRIC-Staaten wie Brasilien, Russland und China. Es hat sich doch sehr deutlich bei der Olympiade in Peking gezeigt und zeigt sich nicht zuletzt derzeitig an den Umbaumaßnahmen im russischen Badeort Sotchi für die Winterolympiade 2014, dass die Anerkennung der westlichen Staaten ein zentrales Motiv der Austragungen bleibt. Und auch innenpolitisch motiviert die Chance, der Bevölkerung die eigenen Leistungen vor Augen zu führen. Dabei stiftet die Inszenierung des nationalen Selbstbildes nicht nur Zufriedenheit, sondern auch Identität. Und dies ist sehr nützlich bei der Visualisierung von Politik. Abseits dessen erlauben die Spiele mit Geldern von Bund und Land, Maßnahmen in der Stadtentwicklung zu ergreifen, die sonst langer städtischer Kalkulation und Planung bedürften. München bekam durch die Olympiade eine U-Bahn, Rom wichtige Schnellstraßen. Auch der Aus- oder Neubau von Stadien fördert die Attraktivität der Stadt und die Austragung belebt deswegen nicht zuletzt den Tourismus.

Dieses Jahr finden die Olympischen Sommerspiele zum dritten Mal in London statt. Sind die Anschläge in London, die kurz nach der Vergabe verübt wurden, und die Unruhen im letzten Jahr schon Teil des olympischen Narrativs?

Ob das zeitlich irgendwann zusammengelesen wird, ist schwer zu beantworten. Doch die Sensibilität gegenüber Gewalt und Terrorismus ist gewachsen. Dies ist insbesondere seit dem Attentat in München der Fall. Der Überfall am 5. September 1972 wird in der Forschung als der Beginn des Terrorismus im Ereignis Olympische Spiele verstanden. Seitdem ereigneten sich 168 Versuche terroristischer Anschläge. Attraktiv für die Terroristen ist und war natürlich die Internationalität des Ereignisses, das viele Menschen auf der ganzen Welt am Fernseher bannt. Die zunehmende Medienaufmerksamkeit bot somit immer mehr Gefahren für die Veranstalter. Stärkere Sicherheitsmaßnahmen, uniformierte Polizisten sollten deswegen auch der Abschreckung dienen. Bereits nach dem Attentat 1972 reagierten die Gastgeber der kommenden Olympiade darauf und veränderten massiv ihr Sicherheitskonzept. 1976 in Montreal prägte die Austragung eine Kombination aus Überwachung, Festung und Kontrolle.

Ein so großes Ereignis ist doch die ideale Plattform für Terrorismus?

Wie gesagt: Eine Bombe im Weißen Haus, im Vatikan oder an der Berliner Mauer hätte damals nicht die Medienaufmerksamkeit bekommen wie das Attentat bei den Olympischen Spielen. Dieser Überzeugung war jedenfalls ein Sprecher des Schwarzen Septembers eine Woche nach dem Anschlag. Das Ereignis wurde von der PLO ganz bewusst ausgesucht. Dabei war es irrelevant, ob ihre Forderung (Freilassung gefangener Palästinenser aus israelischen Gefängnissen) wirklich erfolgreich war. Ziel war es, die Medienaufmerksamkeit auf Ihre Sache zu lenken und auf die Missstände im Nahen Osten hinzuweisen. Terrorismus ist deswegen in erster Linie ein kommunikativer Akt.

In diesem Zusammenhang bekommen die Olympischen Spiele 1972 als Medienereignis eine ganz besondere Bedeutung. Gerade in Bezug auf die Rolle des Fernsehens.

Das Fernsehen nahm im Verlauf der sechziger und siebziger Jahre einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert im Ereignis ein. War der Umgang mit dem Medium 1960 in Rom noch von einigen Unsicherheiten geprägt, richteten die Organisatoren der Spiele 1972 das Ereignis ganz nach den Bedürfnissen der Fernsehmacher aus. Sie passten den Zeitplan an die internationalen Sehbedürfnisse an und suchten selbst den Belag des Stadiondaches nach seiner Lichtdurchlässigkeit für die optimale Fernsehübertragung aus. Journalisten wurden somit zunehmend in die Vorbereitungen involviert, und es entwickelte sich abseits des autonomen Journalismus der sechziger Jahre ein sehr privater Umgang zwischen Medienvertretern und Organisatoren. Dies war natürlich eine Partnerschaft auf beiden Seiten. Denn auch das Fernsehen verstand die Olympischen Spiele als eigenen Referenzraum, in dem es sich mit der internationalen Konkurrenz messen und seinen Platz im Medienensemble behaupten konnte. Da wollten die Intendanten und Journalisten natürlich Mitspracherecht bei den Planungen besitzen. Richten wir noch einmal unseren Blick auf das Attentat, zeigen sich auch sehr deutlich die Herausforderungen für das Fernsehen. Der Wille den Zuschauer zuhause so nah wie möglich an dem Geschehen live teilhaben zu lassen, machten ihn gleichzeitig zu einer Augengeisel und erfüllten das Ziel der Terroristen, sich breitenwirksam in den Medien zu inszenieren.

Hat sich dein Blickwinkel auf die Olympischen Spiele durch deine Arbeit verändert?

Ja, da ich die IOC-Akten, Briefwechsel und die Sitzungsprotokolle durchsehen konnte, wurde mir schnell deutlich, dass das IOC gewisse Politiken verfolgt. Sowohl bei den Spielen 1960 als auch bei der Vergabe der Spiele 1972 wurde von Anfang an klar geregelt, was die Bewerber an Anforderungen erfüllen müssen und wer als Gastgeber Infrage kommen könnte. Potentielle Kandidaten wurden dann direkt zur Bewerbung aufgefordert. Das IOC hatte mit der Nominierung an Rom und München zweifelsohne das Ziel, die postfaschistischen Staaten in die transnationale Ordnung nach Faschismus, Krieg und Völkermord einzugliedern. Dies war freilich nicht nur ein selbstloses Ziel, sondern diese Re-Integration sollte auch wieder Harmonie in den eigenen Reihen schaffen. Generell zeigten sich deutlich ritualisierte Abläufe im Entscheidungsprozess und ähnliche Muster bei beiden Spielen.

In Bezug auf die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2018 ist das die weinende Katharina Witt.

Das ist natürlich die Inszenierung des Bewerbers. Die potentiellen Kandidaten bemühen sich immer, den aktuellen Zeitgeist in der Olympischen Bewegung zu treffen. Klassische Referenz ist dabei die Bezugnahme auf die olympischen Vorgänger. Die Bewerbung von München 2018 zeigt dies deutlich. Auch hier wollten die Organisatoren die fröhlichen und heiteren Spiele veranstalten und das moderne Deutschland vorstellen, man rief damit Bilder der heiteren Olympiade in München 1972 ab. Selbst bei der Bewerbung 1972 rekurrierten die Organisatoren auf die erste deutsche Olympiade 1936. Waren diese Spiele bei den Vorbereitungen ein klarer Gegenentwurf, berief man sich bei der Bewerbung auf das Organisationstalent der Deutschen, das sich bereits in Berlin gezeigt habe. Denn in IOC-Kreisen besaß die XI. Olympiade einen ausgesprochen guten Ruf, eine Indienstnahme der Nationalsozialisten dementierte der Präsident Avery Brundage vehement und lobte hingegen vielmehr die Inszenierung von Antike und Moderne. Man könnte also festhalten, dass eine erfolgreiche Bewerbung voraussetzt, dass der Kandidat die Stimmung im IOC richtig aufspürt. Dies gelang München bei dem jetzigen Versuch nicht. Welche konkreten Gründe zu einer Absage führten, das können Historiker in zwanzig Jahren noch einmal rekonstruieren.

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