22 June 2017

Im Verborgenen

Vor einiger Zeit veröffentlichte das Magazin Metamorphosen einen Call for Papers zum Thema Arbeit. Ich habe den Aufruf kurz vor Ablauf der Deadline wahrgenommen, als ich einen Businessplan verfassen musste, dessen literarische Qualitäten gemessen am Grad der Wahrhaftigkeit groß, die poetische Finesse jedoch gering war. Daher habe ich den Gedanken verworfen, diesen Text als Beitragsvorschlag einzureichen. Ebenso außer Frage stand die Einsendung einer alten, nicht veröffentlichten Kurzgeschichte über eine Textarbeiterin, die über das Ruhrgebiet berichten soll, das nur noch ein großes Loch mit wenigen belebten Zonen ist, weil zu einem unbestimmten Zeitpunkt sämtliche alten Bergwerksstollen eingebrochen und synchron fast vergessene Weltkriegsbomben hochgegangen sind. Eines der wenigen unbeschadeten Gebäude ist das Opel-Werk in Bochum, das zu einem (unbesuchten) Museum des 20. Jahrhunderts umgewandelt wurde, in dem jeder Besucher, so der Gedanke, selbst Autofahren kann und eine Wand zu bestaunen ist, auf der sämtliche Ölpreise festgehalten wurden. Daher blieb lediglich der Versuch, einen neuen Text zu verfassen.

Die Deadline verstreicht, als ich spazierend in das Album Mach’s besser von Die Sterne höre, auf der Peter Licht eine rührende Version von Universal Tellerwäscher darbietet. Während das Original zum Tanz verleitet und die Konzentration auf der Bewegung liegt – auch wenn es nur eine gedankliche ist – rückt die balladeske Interpretation den Text in den Fokus.

"Er kennt sich schon Lange
Und er kann sich nicht mehr sehen
Dabei gibt es wirklich 1000 schöne Filme über ihn

Als den Universal Tellerwäscher
Im Studio
Er wäscht wirklich Teller
Er tut nicht so"

Stimmt. Der Tellerwäscher macht seine Arbeit wirklich. Wir sehen ihn in strobohaften Sequenzen während des Restaurantaufenthaltes, wenn sich die Schwingtür zu Küche hin öffnet und nur zögerlich beruhigt. Dort hinten am Edelstahlbecken steht er und wäscht Teller in Weiß gekleidet.

"Er wäscht keine Teller / Er tut nur so", führe ich den Refrain in Gedanken weiter. Und variiere, ohne das zuvor gedachte durchzustreichen: "Er wäscht wirklich Teller / Doch tut so als ob nicht".

Denn, so scheint mir, manifestiert sich Arbeit in einigen Bereichen dadurch, dass Insignien einer unterstellten Leistung zur Schau getragen werden, die eigentlich ausgebübte Tätigkeit unbekannt (weil schon verschwunden?) ist. Oder es wird durch schmal geschnittene Anzüge, edle Businesskostüme, Fashion oder exzessiver leisureness eine bestimmte Position oder (zeitlicher) Wohlstand ausgedrückt, was noch mit der Vorstellung von erbrachter, erfolgreicher Arbeit einhergeht, doch die damit verbundene Bemühung verschleiert bleibt. In letzterem Fall sind wir wieder in Hollywood: Kaum war Marylin Monroe im August 1962 verstorben, nutzte Andy Warhol für sein Marylin Diptych ein Pressefoto zu dem Film Niagara aus dem Jahr 1953. Das Zusammenspiel des ursprünglichen Fotomaterials, das Monroe als type geprägt hatte, mit der Überhöhung im Werk lenkt in dem Moment den Fokus auf die Künstlichkeit der Figur, als die Bilder des toten Körpers der Schauspielerin und des zerwühlten Bettes kaum verblasst waren. All die Anstrengung, all die Arbeit, bis dahin im Verborgenen gehalten, wurde kurz sichtbar.

Wäre sie doch faul geblieben.

10 June 2017

Wauwau

Kaum endet der erste Refrain der Hunde-Hommage I want a Dog*, ein genialer Schmachtfetzen, mit einem von Dirk von Lowtzow gebrechlich dargebotenen "Wau, wau, wau, wau, wau", kann ich mich nicht entscheiden, ob ich über den Klang und den Einsatz der Lautmalerei noch schmunzeln oder die durch eben jenes "Wau, wau, wau, wau, wau" ausgelösten Erinnerungen zulassen soll. Die damit verbundenen Emotionen werden durch eine Google-Anfrage nach dem Hund in der Popmusik unterdrückt. Das vermisste Bellen verhallt.

Diverse Bände gibt es über den Hund in Kunst und Literatur (aktuell diskutierter Tatbestand Kunst: siehe Venedig+Dobermann+Imhof). Bei der Suche nach dem Hund in der Popmusik sind es lediglich Listen (eine E- und U-Problematik?), die Plattencover oder Songs versammeln, die sich entweder dem Hund als Gefährten widmen oder in denen das Wort Hund als (negative) Metapher herhalten muss: so wird beispielshalber Martha my dear von den Beatles mit Dog days are over von Florence and the Machine vereint (hier zeigt sich eine definitorische Schwäche in der Nutzung des Wortes Hund als umbrella term). Der Pet-Shop-Boys-Song, von dem eingehend als Cover die Rede ist, findet sich in keiner dieser gefundenen Listen. Aber das Internet ist endlos. Also: wer weiß.

Etwas unberücksichtigt erscheinen mir ebenfalls die Hunde in der Mode. Zwar müsste heute jede Tierart, so auch der Hund, über einen (mehrere!) Agenten verfügen, der sich um die u.a. inflationäre und omnipräsente Verwertung tierischer Embleme zur menschlichen Dekoration und Belustigung kümmert (man bedenke die Klagewelle!) – oder der die mit Juwelen besetzten Umhänge von Vivienne Westwood zur Diskussion stellt –, aber was ist mit dem Status all der treuen Begleiter, die stets unter den Arbeitstischen lagen/liegen und deren Anwesenheit absolut zwingend war/ist? Rudolph Moshammers Liebe zu seinem Yorkshire Terrier Daisy ist jedem noch in Erinnerung. Doch jenes Tier eines Modedesigners, das sogar über einen Wikipedia-Eintrag verfügt, ist eine Katze: Karl Lagerfelds Choupette. Dabei heißt es doch in I want a Dog absolut schlüssig: "Oh, you can get lonely / and a cat's no help with that".

Der Hund von Christian Dior hieß Bobby und er verewigte seine Zuneigung mit der Betitelung eines Kostüms. Yves Saint Laurent nannte seine Französischen Bulldoggen stets Moujik, die auf vielen Fotografien auftauchen: zum Beispiel gemeinsam mit Saint Laurent auf Skizzen blickend, die auf dem Boden liegen oder neben dem Arbeitstisch hockend, während Saint Laurent, im weißen Kittel gekleidet, zeichnet. Und dann machen wir es einfach: Statt der Entwürfe, die im Moment der Aufnahme wohlmöglich entstanden sind, schieben wir Saint Laurent – es ist ein lauer Tag, das Fenster ist offen, die Verkehrsgeräusche, von der Pariser Avenue Marceau kommend, lenken ihn kurz ab – ein fast unmerklich stibitztes Blatt aus dem Video zu I want a Dog unter, in dem Hunde gescribbelt werden (sie werden mit "George" oder "Lilith" benannt). Irritiert blickt er, Saint Laurent, auf das Papier, schiebt die Schildpatt-Brille zurecht, nimmt kleine Korrekturen vor, erweitert und setzt in Schönschrift "Moujik" darunter.

"Wau, wau, wau, wau, wau."

*Vinyl-Single, Martin Hossbach, 2017

3 June 2017

Meine finanzielle Autobiografie 2007–2017
Überforderung

Am 13. August 2009 erhalte ich eine Kündigung. In dem Schreiben heißt es: "Die schlechte wirtschaftliche Lage lässt eine Weiterbeschäftigung leider nicht mehr zu. Die kurzfristig geführten Gespräche mit der Bank ergaben nicht den erwünschten Erfolg".

Da ich mich nur elf Monate in einem Angestelltenverhältnis befunden habe, bedeutet das für mich erneut: Hartz IV. Mit dieser Perspektive und nach einem Besuch bei der Agentur für Arbeit, wo mir mit einer Mischung aus Herablassung und Überdruss begegnet wurde, mache ich meinem Noch-Arbeitgeber den Vorschlag, mich für die gleiche Arbeitszeit (20 Stunden) zu einem geringeren Lohn weiter zu beschäftigen. Dieser liegt brutto nur knapp über dem Hartz IV-Niveau bei 700 Euro, erspart mir jedoch den Gang zum Amt. Ich dumpe mich selbst. Ich werde nicht darüber reden.

Er stimmt zu. Ich arbeite weiter. Nach einen Monat erhalte ich bereits wieder mehr Lohn, dieser liegt jedoch bis zu meiner selbst ausgesprochenen Kündigung bei rund 900 Euro und so dauerhaft 200 Euro unter meinem Startgehalt von 1100 Euro monatlich.

Bis Ende 2010 arbeite ich also Dienstag und Mittwoch in Paderborn sowie Donnerstag von 8 bis 12 Uhr im Home Office. Aus Angst erneut gekündigt zu werden und aufgrund von Geldeinbußen bin ich zusätzlich freiberuflich als Online-Redakteurin für zehn Euro die Stunde bei einer Lokalzeitung tätig. Meistens sitze ich Freitagabend und Samstagnachmittag allein in der Redaktion, immer häufiger auch Sonntagnachmittag. Im Fachjargon bin ich eine Content-Schuppse. Wenn ich zweimal im Jahr einen bezahlten Lehrauftrag nachgehe, findet dieser an drei Wochenenden jeweils freitags und samstags statt. In diesem Zeitraum arbeite ich nur sonntags in der Online-Redaktion.

An Montagen versuche ich regelmäßig von 11 bis 16 Uhr an meiner Dissertation zu arbeiten. Wenn ich es schaffe, einen Text zu lesen und zu exzerpieren, ist es ein guter Tag.

Es gibt nur selten gute Tage. Ich fühle wenig. Ein Bier geht immer.

Ende 2010 kündige ich meinen Job in Paderborn. Ich liefere meinem ehemaligen Arbeitgeber für eine 450-Euro-Pauschale im Monat jedoch weiterhin ein paar Texte für seinen Unternehmens-Blog. Aufwand: etwa ein Arbeitstag wöchentlich. Ich weite ab 2011 meine freiberuflichen Tätigkeiten als Online-Redakteurin aus und komme gut um die Runden. Ich gewinne an Zeit, bilde ich mir ein. Doch wenn ich von 18 bis 23/24 Uhr im Akkord arbeite, kann ich am nächsten Tag doch nicht um 9 Uhr wieder am Schreibtisch sitzen und mit Haltung schreiben. Das werde ich mir nie eingestehen. Übermüdung. Frustration. Ich bin von dem ausgeglichenen Jobcocktail der Rösinger’schen Gleichung weit entfernt (künstlerische, in meinem Fall wissenschaftliche, unbezahlte Arbeit 50 %, Brotjobs 25% und coole, schlecht bezahlte Aufträge im kulturellen Bereich 25%)*.

Wenig Sinn für Schönes also. Kaum Erinnerung an Musik und Literatur. Leere. Statt mir einzugestehen, dass ich lieber mehr literarisches und journalistisches Schreiben üben wollen würde, komme ich auf die Idee, Donnerstagnachmittag einen unbezahlten Lehrauftrag von 18 bis 20 Uhr anzubieten. Fürs Ego, denke ich. Für den Lebenslauf, denke ich. Muss ja, denke ich. Ein Fehler. Die letzte Bewerbungen und somit Absagen auf eine wissenschaftliche Stelle habe ich 2009 verfasst beziehungsweise erhalten. Ich bin nur noch eine Pose – eine schlechte. Eine Entzündung am Arm wollte im Sommer 2010 nicht heilen.

Meine finanzielle Autobiografie 2007–2017 bisher: Prolog, Die Tiefpunkte, The Culture I

*siehe: Christiane Rösinger, Das schöne Leben, Fischer Taschenbuch, S. 191.