Am 31. Januar 2012 um 14.01 Uhr hat mich eine E-Mail mit dem Betreff "Hello from Bahrain" erreicht. Beim Öffnen zeigten sich drei Bilder von der Absenderin Danja Mathari, die beruflich dort weilte, und einem befreundeten Architekten, der nur auf die Insel geflogen ist, um Unterlagen für einen Wettbwerb abzugeben. So bestand die Ortserfahrung für ihn allein aus dem Grund der Reise. Für die Berliner Musikerin boten die Hotels in Abu Dhabi, Dubai, Kuwait-Stadt, Manama oder Maskat und Doha immerhin für einige Wochen Unterschlupf. Doch viel Zeit blieb nicht, sich auf Orte einzulassen, die hierzulande für ihre rasante Entwicklung, Traditionslosigkeit nach westlichem Verständnis, und aus diesem Grund vermeintliche Künstlichkeit bekannt sind. Was bleibt also in dem flüchtigen, durch Sonnebrillengläser gebrochenen, Bild hängen, das einen Platz in der Erinnerung bekommt?
Mit welchen Erwartungen bist du auf die arabische Halbinsel gereist?
In freudiger Erwartung und absolut keinem Bild vor Augen.
Der Fotograf Oliviero Toscani hat über Dubai gesagt: "There was not a thing that I liked, not one thing."1 Das war in den 80er Jahren. Wie ist deine Meinung dazu?
Ich bin dazu geneigt zu behaupten, dass Dubai der ermüdendste Ort ist, an dem ich mich je aufgehalten habe. Wenn man in der Wüste bei "Nordsee" essen gehen, oder sich im "Vapiano" seine Penne zubereiten lassen kann, dann ist doch irgendetwas schiefgelaufen.
Ungeachtet des allgegenwärtigen Größenwahns, des oberflächlichen Prunks und der aberwitzigsten Widersprüchlichkeiten ist Dubai außerdem ein Ort, der die Kultur seiner Ureinwohner im Sand begraben hat bzw. im Fundament seiner leerstehenden Hochhäuser einzementiert. Es ist schwierig ernst zu bleiben, wenn ich über diesen Ort nachdenke. Man möchte doch zugleich lachen und weinen. Ich habe Dubai vollkommen ratlos - um nicht zu sagen verwirrt - wieder verlassen. Ich kann nicht einmal sagen, ob ich nicht vielleicht sogar richtig gut finde, was dort stattfindet. Es ist ja ein riesiges Experiment, oder nicht?
Was meinst du, mit welchem Ziel wird das Experiment geführt?
Wo in Cern jemand einen an Absurdität grenzenden gigantischen Tunnel baut, um zwei unsichtbare Dinger gegeneinander zu schießen und dann behauptet, man könne so schwarze Löcher frisieren, baut in Dubai eben jemand mit viel Geld einen geschmacklosen Palmwedel ins Wasser. Die empirische Gewinnung von Superlativ-Daten im Vergleich. Das Ziel. Womöglich auch ein anderes.
Es ist schwierig etwas über kulturelle Angebote zu finden. Ich habe gelesen, dass Einkaufen ein nationaler Zeitvertreib sein soll. Ein Klischee?
Natürlich war ich während meiner beruflich bedingten Reise ein Tourist und hatte als solcher nicht wirklich die Möglichkeit in den Alltag von 'locals', d.h. einer arabischen Familie einzutauchen und zu erleben, was in den Wohnzimmern passiert und wie die Freizeit gestaltet wird. Hinzu kommt die Tatsache, dass ich als Frau im Mittleren Osten so spontan auch gar nicht die Möglichkeit dazu gehabt hätte.
Fest steht ja aber, dass man mit diesem ganzen Geld, was offenbar der Großteil dort auf dem Konto hat, mindestens eine indische Putzhilfe engagieren kann, auf jeden Fall zwei philippinische Kindermädchen und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch eine pakistanische Küchenhilfe, vielleicht sogar einen Koch! Viel zu tun bleibt also nicht. Und spätestens nach dem fünften amerikanischen Blockbuster, den ich mir beinahe ohne Unterbrechung im Fernsehen ansehen konnte, würde ich auch in die Mall gehen, shoppen (um wenigstens unter meiner Abaya irgendwie schick auszusehen) und allen anderen begegnen wollen, die sich zu Hause langweilen. Oder eben in die Moschee.
Sonst ist dort nichts?
Dubai zählt zu den Extremen. Von Doha zum Beispiel habe ich zu wenig gesehen, um mir ein Bild zu machen. Wirklich interessant fand ich das dort ansässige Museum für islamische Kunst - selbstredend ein beeindruckendes Gebäude.
Ich hatte mir in der Kürze der Zeit wirklich Mühe gegeben, mehr über die Kultur der einzelnen Orte herauszufinden, über die Musik und Traditionen, die man in den Straßen nicht mehr findet. Genauso verwahrlost und vernachlässigt wie viele Traditionen allerdings, waren sowohl das "heritage center" in Manama (Bahrain) wie auch das National Museum in Kuwait-Stadt (Kuwait). Es ist ein Gerücht, dass sich dort noch irgendetwas herausfinden lässt.
Wenigstens war die Begegnung im "Kuwait National Museum" mit sehr netten jungen Angestellten ausgesprochen erheiternd. Ich erhielt eine Privattour durch das, was noch übrig war. So fühlte es sich jedenfalls an. Sogar Lichtschalter wurden extra angeknipst. Ich wurde zwar etwas schräg belächelt, aber dennoch sehr herzlich empfangen und wieder verabschiedet. Aber natürlich unterscheiden sich die Orte, an denen ich war, auch ganz klar voneinander.
Bleiben also noch die Hochhäuser als Aushängeschild. Doch wie haben die Städte eigentlich im Ganzen auf dich gewirkt?
Viele der Gebäude und Skylines die ich in Qatar, Kuwait, Bahrain, und den Vereinigten Arabischen Emiraten gesehen habe, sind ohne Frage imposant. Die Ausnahme war Manama in Oman, dort hat man bisher auf Hochhäuser verzichtet.
Was ich allerdings als unangenehm empfand, speziell in Abu Dhabi, ja sogar banal gruselig, war, dass eine Vielzahl der Häuser unbewohnt und leerstehend ist. Es war so - aber natürlich ging an dieser Stelle meine Phantasie mit mir durch - als ob diese Häuser dich aus ihren verspiegelten Fenstern anstarren würden und auffressen wollten, während man sich durch leere Häuserschluchten bewegt. Nur hier und da mal eine Traube von indischen Gastarbeitern, die nach Feierabend an einer Bushaltestelle warten.
Und trotzdem wird in Abu Dhabi weiter gebaut. Unter anderem auch ein "Louvre" und "Guggenheim Museum". Im Übrigen habe ich nach halbstündiger Taxifahrt auch gelernt, dass man Abkürzungen wie „(u/c)“2auf Karten Beachtung schenken sollte...
Ein bisschen wie damals, als ich auf meinem USA-Erkundungs-roadtrip nach tagelanger Wüstenbegehung völlig ausgedurstet und Schatten suchend den als Sehenswürdigkeit erwähnten "petrified forest" besuchen wollte, zu dem ich einen ganzen Tag gefahren bin. Ohne aber natürlich nachzuschlagen was "petrified" eigentlich bedeutete. Die Enttäuschung war ähnlich groß.
Sonst noch Tipps für die reisende Frau?
Sollte ich das nächste Mal eine Einreise-Erlaubnis und Visum für Saudi Arabien erhalten, das hat diesmal leider nicht geklappt, komme ich sicherlich mit interessanten Überlebenstipps für Frauen wieder. In den Ländern, in denen ich mich aufgehalten habe, genügt es vermutlich einfach den Mund zu halten.
Hast du dich wohl gefühlt?
Es wär wohl übertrieben zu sagen, dass ich mich stets pudelwohl gefühlt habe, gerade dann, wenn ich zu Fuß alleine unterwegs war. Denn die Blicke zieht man selbstverständlich auf sich – aber natürlich auch wegen des zu Fuß Seins. Denn selbstverständlich sind Karosserien die übliche und längerfristig einzige Möglichkeit, sich dort fortzubewegen. Ich bin sehr anpassungsfähig, bewege mich aufmerksam, dennoch zurückhaltend, ohne aber den ganzen Tag lang reuevoll und ängstlich zu Boden zu schauen. Insofern konnte ich – ob nun Frau oder nicht – viele Momente genießen und wurde nie bemerkenswert schlecht oder unfreundlich behandelt.
Du hast kurz die vielen Gastarbeiter erwähnt, die oftmals die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Sind sie im Straßenbild überhaupt präsent – abgesehen von der Bushaltestelle.
Ja. So konnte ich mir zwischendurch sogar vormachen, ich hätte Indien auch schon bereist! Das ist natürlich sehr traurig.
Kann man bei den Städten von Metropolen sprechen?
Rein wirtschaftlich betrachtet handelt es sich bei Städten wie Abu Dhabi oder Doha mit Sicherheit um Metropolen. Vielleicht täusche ich mich auch, aber der Unterschied zu anderen Metropolen, New York zum Beispiel, besteht nach meinem ersten Eindruck in ihrer fehlenden Vielfalt, ihrer natürlichen Multinationalität, ihrer Angebote, ihrem Alter, ihrer Kunst. Baut nicht eine Metropole auf ihren Grundpfeilern auf, d.h. auch auf Traditionen, oder zumindest einer Geschichte? Man stampft sie doch nicht in den Boden, um darauf Beton zu gießen.
Viele der besuchten Orte fühlen sich an wie eine Kunstwelt. Es sind Städte, die versuchen etwas ganz anderes zu sein. Städte, die mithilfe eines fragwürdigen Gesellschaftmodells aus dem Boden schießen und schlichtweg nachahmen, wogegen sie doch eigentlich so sehr sind. Städte, die ihren Reichtum gegen Traditionen und Werte eintauschen. In Kuwait wusste niemand, dem ich begegnet bin und den ich gefragt habe, wo ich dessen traditionelle Musik ausfindig machen kann, niemand dort spielt sie mehr! Was bleibt ist ein Disneyland-Feeling.
Oder Las Vegas. Aber das Disneyland-Feeling ist meiner Meinung nach kein durchweg positives, weil es diese Lücke zwischen Äußerem und Inneren gibt. War der Besuch letztendlich auch unheimlich?
Na ja, das war er hin und wieder. Aber die meiste Zeit über war ich schrecklich aufgeregt und konnte selbst den merkwürdigsten Momenten etwas abgewinnen.
Seit 2009 versucht du regelmäßig, die Musik verschiedener Länder zu erkunden. Hattest du während deiner Reise überhaupt eine Chance dazu?
In Kuwait hatte ich nach längerer Recherche und zwei Besuchen an Musikschulen, das unglaublich große Glück, den Kuwaiti Nawaf al Gheraibah kennenzulernen. Als facettenreicher, unglaublich begabter und bereister Musiker – so abgedroschen das klingt, aber es stimmt – stemmt er sich aktiv gegen die Widrigkeiten einer Regierung, die Musikveranstaltungen und Künstler weder fördert, teilweise sogar verbietet. An meinem allerletzten Tag in Kuwait verabredeten wir uns in der Lobby meines Hotels, wo wir uns sehr lange unterhielten.
Über was habt ihr gesprochen?
Musik.
Wie klingen für dich diese bereisten Städte?
Nach Baustellenlärm. Nach Hupen. Nach Klimaanlage. Nicht nach Musik. Nach Wind. Still. Eigentlich sehr still. Ich werde nochmal hinreisen und versuchen genauer hinzuhören. Danach sprechen wir uns wieder.
Bilder: © Danja Mathari, 2012
1Ingo Niermann, Solution 186-195, Dubai Democracy, Sternberg Press 2012, S 10.
2Under Construction
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