5 March 2019

Dylan McKay

Der Kontrast hätte für mich nicht größer sein können: Ich, zehn Jahre alt, in Bluejeans, ein verwaschenes, einst weißes, Discount-Shirt mit einer Zeichnung von Keith Haring darauf tragend, in der fünften Klasse in einer dieser maroden Karl-Marx-Sekundarschulen sitzend, die aufgrund eines Umzugs jene Ho-Chi-Minh-Schule für zwei Jahre ablösen sollte, bevor ich auf ein Gymnasium wechseln würde, da ich die letzten guten Noten meiner Schullaufbahn in einer Ledertasche trug, und die für mich merkwürdige Welt der Serie Beverly Hills 90210, die erstmals im Juli 1992 in Deutschland ausgestrahlt wurde. Es gab samstags also eine Möglichkeit der Flucht, weit weg von dem Post-Wende-Alltag, der für die Eltern so schwer schien. Rein in lichtdurchflutete Klassenzimmer und Flure mit Bücherspinden, auf deren polierten Böden reiche, weiße, junge Menschen mit Nose Jobs flanierten. "It's funny, and a little melancholy, to think of 90210 that way, because for me, as a kid, it was the white-hot touchstone of modernity—a glimpse into a fabulous world far beyond all that I knew", erinnert sich Richard Lawson für Vanity Fair.

Obwohl ich eine zeitlang die Figur der Brenda zum Vorbild erkoren hatte, wäre mir die Sendung, bis auf die Inception fragwürdiger – damals völlig okayen – Rollen- und Körperbilder, ohne die Figur des Dylan McKay nicht bewusst in Erinnerung geblieben, der die Serie rückblickend erst erträglich gemacht hatte: der coole Loner im Sportwagen, der zwar auch reich war, aber ziemlich ungücklich schien. Die Killer-Kombination.

Das mich prägende Narrativ – um nicht Klischee zu sagen –, das in Dylan McKay steckte, wurde mir kurze Zeit später bewusst, als die Grenze zum Alltag nicht mehr nur mit aktuellen US-Serien gesetzt wurde, sondern mit klassischem Hollywood-Kino (und später Literatur). Da war Paul Newman als der verletzte, alkololkranke Brick Pollitt in Die Katze auf dem heißen Blechdach, der real alkoholkranke Montgomery Clift in Ein Platz an der Sonne oder in The Big Lift oder eben James Dean in seinen drei Filmen. Charaktere: gebrochen, unsicher, manchmal physisch schwach, die gemäß Diederichsen eine visuelle, verdinglichte positive Idee der Schwäche, des Mangels und des Unvollkommenen in die zeitgenössische Kultur gebracht hatten, die eine Aura des Wahren implizierten. Die schwachen Stimmen im Pop ihr musikalisches Pendant.

Das wollte man sein: cool, unperfekt, was den Männern vorbehalten schien, bis ich Winona Ryder und später auch Bildung fand.

Und so sind die Nachrufe auf Luke Perry (1966–2019) nicht nur geprägt von den Erinnerungen an seine Rolle in Beverly Hills 90210, sondern auch an die Idee des schönen Brüchigen, des sanften bis rebellischen Anderen – das damals durch River Phoenix und Kurt Cobain kurzzeitig Vollendung fand –, das diesen grellen und potenten Serien-Figuren an die Seite gestellt wurde – ein zarter Hauch von Widerstand, wenn auch versteckt hinter Haarspraynebel: "For Generation X, it was Dylan McKay. Perry was so instantly cool and magnetic in the role that he transformed what had seemed an earnest culture clash comedy into something more addictively melodramatic and soapy", schreibt Alan Sepinwall für Rolling Stone.

Die Erinnerung an diese Form der kulturellen Intervention kam auch jedes Mal in Riverdale zum Vorschein, wenn Luke Perry, einen Vater mimend, mit den unbeharten, aufgeblähten Teenager-Karikaturen interagierte, die gefangen sind in einer Welt, in der Stile und Zeiten so stark aufeinanderprallen, das ein unheimlicher Anachronismus entsteht, der Simon Reynolds und Mark Fisher das Fürchten lernen würde.

"I'm having major déjà vu. Remember when this was our lifes?", fragt Molly Ringwald in der Rolle von Mary Andrews in einer Szene von Riverdale ihren Ex-Mann Fred, gespielt von Luke Perry, als sie einen Schulball besuchen. "The best of times", antwortet er. Sie schmunzeln sich zu, scheinen sich mit ihren jeweiligen Rollen zu versöhnen, und der Zuschauer in der Gegenwart muss sich zur Bekenntnis zwingen: Es war einmal.