von Vincent Schmidt, Hanoi 2005
"Vietnam, dance!" ist der zweite Text einer dreiteiligen Asien-Serie.
Von Bangkok fliege ich nach Hanoi. Vorbei an ausrangiertem Militär-Schrott rollt die Maschine der Thai Airways auf das neue Terminalgebäude des Flughafens zu. Um die Mittagszeit herrscht hier kaum Betrieb. Ich zweifle, ob auf diesem Flughafen überhaupt je Betrieb herrscht. Das Lächeln der thailändischen Stewardess beim Aussteigen entlässt mich in eine andere Welt. Gelächelt wird ab jetzt nicht mehr. Schon die Polizisten vor der Flugzeugtür, oder sind es Soldaten, schauen grimmig und mustern jeden Ankömmling mit abschätzigem Blick. Sie tragen grüne Uniformen, wie alle Polizisten in kommunistischen Ländern und Deutschland.
Vor der Passkontrolle ist die Atmosphäre gedrückt, kaum jemand spricht, schon gar nicht laut. Offenkundig, wer aus welchen Grund nach Vietnam gekommen ist: Vorne in der Warteschlage stehen die Geschäftsreisenden, Männer in schlecht geschnittenen Anzügen, die von ihren Firmen hierher geschickt werden, um neue Märkte zu erschließen. Von allen Passagieren haben sie am wenigsten Lust auf dieses Land. Doch sie müssen hierhinkommen, sie brauchen die Zuschläge. Hinter ihnen warten die Mitarbeiter der NGOs, Entwicklungshelfer, US-Aid. Gekleidet wie Touristen tragen diese Mittdreißiger gerne einen Rucksack, dazu aber stets eine Laptoptasche. Überaus motiviert und gut gelaunt provozieren sie den Hass der Anzugträger und Neid der Touristen. Diese stehen hinten, schauen ängstlich und führen jeden Schritt bedächtig aus, um möglichst keine Fehler zu machen. Fehler wobei, frage ich mich? Ein junger amerikanischer Familienvater, der, so denke ich, Hanoi mit Frau und Söhnen besichtigen will, wo sein Vater einst gegen den Vormarsch des Kommunismus gekämpft hat, prüft zum dritten Mal ungeduldig Pässe und Einreiseformulare der Seinigen, als sei das Visum zwischenzeitlich abhanden gekommen. Zwei Ehepaare aus dem Süddeutschen bereuen ihre Reise jetzt schon.
Wortlos schiebe ich dem Grenzbeamten, dessen jugendliches Gesicht mich irritiert, meinen Pass zu. Natürlich schaut auch er grimmig. Nach stiller Prüfung haut er den Einreisestempel auf die freie Seite neben dem Visum und schiebt den Pass wortlos zurück. Auf dem Weg zum Gepäckband erinnere ich mich an meine Ankunft in Macau. Auf der kleinen Tischfläche des Schalters der Passkontrolle stand eine weiße Keramikschale mit bunten Bonbons. Ich bediente mich, während mir eine Beamtin meinen Pass zurückgab und einen angenehmen Aufenthalt wünschte. Zwischen Macau und Hanoi liegen achthundert Kilometer.
"Wo viel Freiheit ist, ist viel Irrtum, doch sicher ist der schmale Weg der Pflicht", sagt der vietnamesische Taxifahrer auf Deutsch, als wir das Flughafengelände Richtung Stadtzentrum verlassen.
"Wie bitte?"
"Schiller, Wallensteins Tod. Sieben Jahre habe ich Deutsch studiert. Mein Professor kam aus Deutschland." Genau genommen aus der DDR, denke ich. Kulturaustausch kommunistischer Bruderstaaten.
"Und dann?"
"Ihre Sprache ist in diesem Land nicht gerade beliebt. Damit kann man hier wenig machen. Jeder will Englisch lernen. Nun fahre ich Taxi. Kennen Sie sich mit deutscher Literatur aus?"
"Ich lese nicht sehr viel", lüge ich.
"Meine Studienzeit ist lange her, die Bücher sind alt. Ich würde gerne neue Literatur über Deutschland lesen. Kennen Sie da einen Schriftsteller?" Die Frage kommt mir bekannt vor.
"Sicher! Da kenne ich einen."
Am Abend sitze ich an der Bar eines Pubs im alten Zentrum Hanois. Nachdenklich steht Matt hinter dem Tresen. Die wenigen Gäste, die sich zu später Stunde dort aufhalten, verabschieden sich nach und nach. Zur Straßenseite hin ist das Pub geöffnet, es gibt weder Tür noch Fenster, nur einen Rollladen. Tagsüber kann man dort aus angenehmer Distanz dem hektischen Treiben zusehen. Auf den Straßen des Quartiers fließt dann ein nie abreißender Strom aus Mopeds, der in seiner scheinbaren Unordnung eigenen Regeln folgt. Die Ladenlokale der angrenzenden Gebäude sind geöffnet, Straßenhändler bieten ihre Ware an, Müllsammler ziehen mit Karren vorbei und lesen den Plastikmüll auf, den sie an Sammelstellen für wenig Geld verkaufen. Abends ist das Quartier wie verwandelt. Ruhig und menschenleer liegen die Straßen im schummrigen Licht vereinzelter Laternen. Matt lässt den Rollladen an der Straßenfront jetzt zur Hälfte runter. Dann kommt er zurück zur Bar. "Ich muss neuerdings vorsichtiger sein. Als Ausländer hat man hier kaum Rechte, oft bin ich machtlos. Der Polizeichef des Quartiers kann den Laden jederzeit dicht machen. Bisher lief alles gut, aber jetzt ist er gar nicht gut zu sprechen." Aus Misstrauen gegenüber den Banken, so erzählt er weiter, hatte der Polizeichef sein gesamtes Vermögen zu Hause aufbewahrt. Letzte Woche ist sein Haus aber ausgeraubt worden. Seither ist die Stimmung im Quartier angespannt. "Ich will mein Schicksal nicht herausfordern und versuche unauffällig zu sein. Irgendwann wird das aber nicht mehr helfen. Der Polizeichef braucht Geld. Bald wird er es fordern und ich werde zahlen müssen. Für mich geht es um alles, zurück nach England kann ich nicht."
Vor drei Jahren, kurz nachdem Matt nach Vietnam kam und zu bleiben beschloss, übernahm er das Pub von einem Kanadier. Damals lief der Laden schlecht, das Bier war warm und kaum jemand verirrte sich hierher. Inzwischen ist es ein beliebter Treffpunkt für Expats, Ausländer, die hier in irgendeiner Weise tätig sind. Die Anzugträger vom Flughafen wagen sich ungern nachts in diese Gegend. Ihnen genügt die Hotelbar im Sheraton oder Hilton, die auch in Buenos Aires oder Nairobi sein könnte. Auch die Angestellten der Botschaften oder die Typen des US-Marine Corps, das zur Bewachung der amerikanischen Botschaft abgestellt ist, kommen nicht hierher. Zu Matt kommen andere, wie der nicht mehr ganz junge Franzose, der ein kleines Restaurant mit französischer Küche betreibt. Oder die idealistische Englischlehrerin aus New South Wales und der junge spanische Fotograf, dessen Schwarz-Weiß-Fotografien an einer Wand des Pubs hängen. Außerdem Reisende und Rastlose.
Bevor er nach Vietnam kam, arbeitete Matt in der Nachtschicht eines Tesco-Supermarktes in London. Nacht für Nacht stand er den Nachtgestalten der Stadt gegenüber. Und am Morgen hatte nicht mal ein Pub geöffnet, in dem er vor dem Schlafengehen noch ein Bier hätte trinken können. Nach einer kurzen Episode als Forstarbeiter in Finnland kam er schließlich nach Hanoi. In seinem Pub arbeiten nur junge Vietnamesen aus Familien, die sogar in einem armen Land wie Vietnam als arm gelten. Matt zahlt weit mehr als für ihren Job hier üblich ist. Er schickt sie auf eine Englischschule und hält ein Auge auf ihre Entwicklung. Bald werden sie einer besseren Tätigkeit nachgehen können. Einmal war er bei den Eltern eines Schützlings eingeladen, in ihr hüttenhaftes Zuhause in einer ländlichen Siedlung außerhalb Hanois. Sein Vietnamesisch war damals noch nicht so gut wie heute. Die Verständigung wurde durch Gesten getragen. An der Wand der kleinen Hütte hingen zwei Bilder. Eines zeigte Ho Chi Minh, das andere ihn.
"Vietnam, dance!" ist ein Songtitel der Band Susanne Blech, der auf dem zweiten Album "Triumph der Maschine" zu finden ist.
No comments:
Post a Comment
Note: only a member of this blog may post a comment.