22 July 2012

Das Unentfliehbare

Wir können der Angst dankbar sein. Ein Angst auslösender Reiz wird wahrgenommen, klassifiziert und dazu benutzt, eine Reihe von Reaktionen des Organismus auszulösen. Wir schwitzen. Unser Puls geht schneller. Unser Herzschlag verstärkt sich. Wir bewegen uns. Wir bewegen uns schnell. Schneller als je zuvor. Jeder, der sich aufgrund eines bedrohlich erscheinenden Schlüsselreizes schon einmal bewegen musste, den stärker werdenden Schmerz in Beinen, Armen und Lunge ignorierte, rettete sich für einen Bruchteil einer Sekunde vor dem Gefühl der Angst, indem er sich erstaunt über die eigene körperliche Leistung gezeigt hat. Alles ist so klar. Und die Möglichkeit der Bewegung schlechthin, verweist uns auf die Eventualität des Überlebens. Wir bewegen uns weiter. Im besten Fall mit einem Ziel. Die Insel ist nah.

Die Darstellung von Angst wirkt sich bei genügend Empathie auf den eigenen Körper aus. Wir leiden mit. Wir rennen mit. Wir schwimmen mit. Wir verstecken uns. Wir nennen es später Katharsis, wenn der Puls sinkt, Magen und Darm den alten Rhythmus wiederfinden. Wir nennen es vielleicht eine Erfahrung, wenn sich unser Weltbild verändert hat und unser Blick nach dem Heraustreten nicht mehr der gleiche ist. Wir sind oftmals erschrocken, aber auch dankbar, vor der Möglichkeit einer Welt, die uns dargeboten wurde und sind letztendlich doch glücklich über die Fiktion.

Für besonders beklemmende Momente sorgen Ausweglosigkeit, die Unmöglichkeit, die Endgültigkeit, jenes "Hier ist jetzt Schluss!". Der Leser, Zuschauer oder Passant entzieht sich dessen, indem er den Blick, das Gehör oder die Aufmerksamkeit abwendet. Er ergreift die Flucht.

Doch manchmal lässt man es zu, man fällt beim Lesen eins Romans, beim Sehen eines Films, beim Besuch einer Ausstellung, beim Geräusch eines zu schnell fahrenden Fahrzeugs oder bei der flüchtigen Wahrnehmung einer Nachricht in den Gedanken und ist von der Gegenwärtigkeit seiner Vorstellung empört, so dass plötzlich alles kaum mehr zu ertragen ist.

Ich bin hier. An jenem Ort. Ich sterbe mit. Ich werde gleich getötet.

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