Das Wort Säule wirkt beim Aussprechen, gleich von Beginn an, also noch bevor sich der Mund eigentlich öffnet, mächtig und schwer. Die Geschichte scheint zu alt zu sein, die sich mit diesem Baukörper verbindet. Die Auswirkungen auf die Redensarten tun ihr übriges: Von den Säulen der Gesellschaft über die Säulen des Erfolgs bis hin zu den Säulen der Altersvorsorge werden somit stets bedeutende Aspekte hervorgehoben. Selbst der Mensch kommt nicht ohne Säule aus.
Es rauschen tausende Bilder durch den Kopf wie durch den Algorithmus einer Suchmaschine. Diese und die zu beobachtende Gegenwart geben jedoch Preis, dass die wahre Relevanz der Säule auf die Historie beschränkt ist und ihre ästhetische sowie politische Machtausstrahlung heutzutage eine — manchmal unerwünschte — Metapher bleibt. Ihre Funktionalität scheint sich auf das Ornament zu beschränken. Es gibt die Dekosäule, die Blumensäule, die Schmucksäule, die Trinksäule, die Säulen-Kommode oder auch das Wandtattoo Säule. Diese Phänomene werden zusätzlich begleitet durch den Rattenschwanz des Kitsches, eine auf Produkte übertragende Gemütshaltung, die immer im Verruf des Seichten, des Gemütlichen, des Ersatzes und der Sehnsucht ist. Wer zwei Blumensäulen rechts und links neben den Eingang seines einheitsverputzten, kaputtgedämmten Reihenhauses drapiert, um ein deutlicheres Distinktionsmoment als die extravagante Form des Briefkastens zu wählen, gilt als Einfaltspinsel ohne Geschmack. Niemand würde auf die Idee kommen, es handle sich um einen ironischen Kommentar zu postmoderner Architektur.
Ebenso wie zu der Innen- und Außendekoration verhält es sich mit der Architektur. Doch wo sind überhaupt die Säulen dieser Tage? Spötter könnten behaupten: "In Berlin!" und denken wohl weniger an das Bundeskanzleramt, sondern vielmehr an neugebauter Dahlemer Villen im klassizistischen Stil, an das Kronenpalais oder an das Stadtschloss. Für wahre Kenner zu lieblich und als "Stimmungsarchitektur" verspottet. Kitsch. Das gleiche Urteil ereilt Erker, Balustraden und Stuck, jene Wohnungsattribute, nach denen überraschend viele Menschen Wohnungsanzeigen filtern, um auf abgeschliffenen Holzdielen — beim Blick auf den säulenumstanden Innenhof — einen SE 68 ins Büro und einen Freischwinger in die Küche zu stellen und sonst nichts.
Also, gibt es die moderne Säule, die kein Pfeiler, kein Pfosten, keine Stütze aus Beton oder Stahl ist? Ist sie ohne den ganzen Morast, die gespielte Herrschaftlichkeit, die Styroporhaftigkeit, die Kopiertheit, die Scham einsetzbar?
Zum 125. Geburtstag von Ludwig Mies van der Rohe schreibt der Architekt Hans Kollhoff, dass die Säule der Nationalgalerie in Berlin, "wohl die einzige moderne Säule" sei. Aber er räumt ein, dass "eine Säule [...] nur das Ergebnis geduldigen Kopierens über Jahrhunderte sein [kann]". Ist das ein Nein?
Ein Beitrag für die Publikation zu "Fallen Temples". Ein Ausstellungsprojekt kuratiert von Paran Pour und Anna Spanlang. Veranstaltet vom Institut für bildende Kunst, Video und Videoinstallation, Akademie der bildenden Künste Wien.
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