9 February 2013

Mokka

Wenn 2016 die Produktion in den Opelwerken in Bochum eingestellt wird, braucht sich die Stadt um eines nicht zu kümmern: die Umbenennung einer Nahverkehrslinie. Als 2008 das Nokiawerk geschlossen wurde, bestand eine bittere Nachwehe darin, der »Nokiabahn« einen neuen Namen zu verleihen. Man entschied sich damals für »Glückaufbahn«. Der politische Kampf um einen Produktionsstandort und seine Folgen gipfelte in einem Bürgerwettbewerb. Bald werden es nur ein paar Haltestellen seien, die fehlen werden.

Es bleibt - unabhängig von der wirtschaftlichen Gesamtsituation mit General Motors - die Frage, was Opel so unpopulär in der Gunst der Autokäufer gemacht hat. In dem Magazin »The Germans« schlussfolgert Michaelis Pantelouris:

»Wer früher einen Opel gekauft hat, muss damit so etwas verbunden haben wie Vernunft, Solidität, ein gesundes Nicht-alles-Mitmachen und das heute unerreichbarste Gefühl von allen: das Gefühl normal zu sein. Heute erkannt man Spießer daran, dass sie von sich selbst behaupten, sie seien ›ganz schön verrückt‹, ihre Kinder seien hochbegabt (weil sie nicht ruhig sitzen können) und die tollste Fernsehserie aller Zeiten sie ›Mad Men‹, weil da noch überall geraucht und getrunken wird.«

Da die Werbung bei der Typenbildung stärker ist als der Alltag, zeigt sich der Spießer von heute unter anderem in Werbespots zu Bausparverträgen. Es wird zum einen das auf lange Sicht überholt-sein-sollende abgeschottete Eigenheim mit einer Überladung an Lebensgefühlskitsch übertüncht. Zum anderen wird man aufgefordert, den Spießer in sich zu entdecken, weil der Spießer gar nicht mehr spießig ist. Und selbst der All-inclusive-Urlaub ist heutzutage »Wie für mich gemacht« oder »Das wäre nichts für euch« und auch sonst ist All-inclusive so gar nicht Standard, sondern mal verrückt, verspielt oder verträumt...

Man könnte also folgern, dass Opel daran hadert, dass kulturelle Ausprägungen niemals statisch sind, sondern zeitlich und räumlich beschränkt sind. Aus diesem Grund erscheint ein neueres Opelmodell wie der klägliche Versuch in die Ironiehölle der ›Spießigkeit‹ einzutreten. Beim Modell Mokka gilt das zum einen für den gewählten Autotyp. SUVs sind die drittstärkste Fahrzeugklasse in Deutschland, weil sich jeder wie eine englischer Großgrundbesitzer in gewachster Barbourjacke fühlen kann, der täglich mit seinem Landrover zwischen London und seinem Landsitz pendelt. Oder weil der SUV für »Emotionen, Abenteuer [und leider] Sicherheit« steht.

Des Weiteren bedient sich Opel dem Kommunikationsmodell Kaffee, das zum Beispiel von der ›totalen Andersartigkeit‹ des Les Deux Magots, »einst ein Welt am äußersten Rand der produktiven Ökonomie« lebt, aber davon genauso weit entfernt ist wie das Café vom Coffeeshop, der »mittlerweile in ein halb industrielles Environment umfunktioniert worden [ist].« Deswegen heißt der Mokka nicht nur so, sondern ist gegen Aufpreis in Espressobraun zu haben. Soll das der fahrbare Untersatz für jene sein, die in »begehbare[n] Latte macchiato[s]« wohnen wollen, (die aber immerhin nicht so heißen)? Wie stark die Kaffeekultur in die Autovermarktung eingedrungen ist, beweisen auch die To-Go-Wochen bei Skoda.

Doch Opel in Bochum ist nicht mehr zu helfen, trotz Mokka und neuem Mini-haften Kompaktwagen Adam. Denn in diesen Werken wird nur der Opel Zafira und der Opel Astra H gebaut. Modelle, die für »Vernunft, Solidität, ein gesundes Nicht-alles-Mitmachen und das heute unerreichbarste Gefühl von allen: das Gefühl normal zu sein« stehen.

Und dann? Was hat Bochum dann noch? Stahl? Den VfL? Den Herbert Grönemeyer der 80er-Jahre? Das Musical Starlight Express? Das Schauspielhaus? Die Ruhr-Universität? Das Bergbaumuseum? Das Image, die Stadt zwischen Dortmund und Essen zu sein? Eine neue Idee? Die Möglichkeit, von hier aus zahlreiche Städte innerhalb von zehn Minuten zu erreichen. Irgendwas?

Vielleicht besteht ab 2016 die Möglichkeit, Teile von Bochum in ein großes Freilichtmuseum zu verwandeln, zum Gedenken an die typisch westliche Produktionsstätte des 20. Jahrhunderts – das Werk. Der Deutsche mag Erinnerungskultur. Ehemalige Arbeiter könnten die Produktion realitätsnah nachstellen. Die Autos könnten für Testfahrten und als Museumartikel zur Verfügung stehen und dem hippen Besucher etwas vermitteln, was sie einst vergessen haben: Normalität.

Als Eingangszeichen könnte eine viel größere Version des »Tire Tower« von Alan Kaprow wieder errichtet werden. Der »Tire Tower« wurde 1979 im Rahmen der Bochumer Kunstwoche im Ruhrpark (damals Europas größtes Einkaufszentrun) errichtet, wurde dann leider von Unbekannten abgefackelt.

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