Zu Beginn, also bis spätestens eine Woche vor offizieller Publikation des neuen Romans von Christian Kracht "Imperium", war alles wie immer. Erste Hinweise zu dem neuen Buch in kurzen Abrissen zur Frühjahrsliteratur, hin und wieder das Wort Kokosnuss, oder hier und da ein wohlwollendes Portrait des schweizerischen Schriftstellers. Gut positionierte Häppchen, die den geneigten Leser Appetit machen sollten, auf das, was kommen mag. Routinierte, gut angelegte Printpromotion.
Als schließlich die ersten, die Sperrfrist ignorierenden, Rezensionen des Romans veröffentlicht wurden, war das darin formulierte Urteil so überraschend, wie die Tatsache, dass man nach einer langen Fahrt vor der Einfahrt der Wohnung erleichtert Halt macht: die einen mochten das Buch, andere nicht. Die wohl ausformulierten Geschmacksurteile galten entweder einer gekonnten Parodie, hanebüchenem Schmarrn, oder besagten, dass "Christian Kracht [...] mit Imperium seinen bisher besten, seinen ausgereiftesten Roman vorgelegt [hat]."
Das Buch
Das Buch, um das es in diesen schon erwähnten und den darauffolgenden Texten geht und gehen sollte, oder auch nicht, denn da ist man sich nicht ganz so sicher, erscheint nach der ersten Lektüre wie ein typischer Roman Krachts, der durch sein Sujet, der territorialen und zeitlichen Verortung der Handlung mal wieder unerwartet anders ist. Überraschend wirkt es zudem, dass kein Ich-Erzähler den Leser durch die Handlung führt, sondern eine merkwürdige auktoriale Erzählfigur, die aber nicht, wie es für einige vielleicht zu wünschen wäre, den moralischen Kommentator mimt, sondern in seiner Beschreibung des wilhelminischen Deutschen, seiner Haltung gegenüber politischen und gesellschaftlichen Themen der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, seinem Präsens, treu bleibt. So kommen weder Thomas Mann, Franz Kafka noch Richard Wagner, oder eben das Judentum, sowie Homosexualität gut weg. Und Hitler, ja, der ist der vegetarische, picklige, geschlagene Bub, mit der "absurde[n] schwarze[n] Zahnbürste" unter der Nase, der "lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre". Dass der Erzähler nicht moralinsauer ist, sondern mit den Geschehnissen des 20. Jahrhunderts ironisch kokettiert, sollte in Anbetracht des bisher publizierten Kracht’schen Oeuvres eben so überraschend sein wie die Tatsache, ja genau, dass man nach einer langen Fahrt vor der Einfahrt der Wohnung erleichtert Halt macht. Und das ist natürlich streitbar. "Kurzum: Man kann Krachts zuweilen ästhetisierende, ironisch unverbindliche Ausflüge in die Herzen der Finsternis vergnüglich, irritierend oder auch geschmacklos finden.", wie es auf Zeit Online heißt.
Ach ja, darüber hinaus geht es in "Imperium" übrigens um August Engelhardt, einer, der witziger Weise mit einer Ladung Bücher – von Dickens über Hoffmann, Keller, bis Tennyson -, denn so viel Kultur muss dann doch noch sein, im papierunfreundlichen Dschungel aussteigen will, einen Kokosnussorden, also ohne Cornflakes aus einem Sanatorium aus Battle Creek und ohne Vegamite auf Toast, gründen möchte, eigentlich lieber allein ist, letztendlich allein bleibt, und seinen Untergang durch den Genuss von Coca-Cola und Hot Dogs zu schmecken bekommt, Güter, welche ihm die Speerspitzen eines anderen Imperiums in den fauligen Mund stopfen.
Die Kritik
Dann kam der 13. Februar 2012, und Kracht war plötzlich, und das konnte erst Jakob Augstein in seiner Verteidigung deutlich ausschreiben, ein Faschist. Diez selbst wählte andere, viel zitierte Formulierungen, von denen der Schluss des Artikels "Die Methode Kracht" eine dramatische Spitze markiert: "An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratie-feindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream". So entlässt man gekonnt den Leser. Bumm! Auffällig an dem Verriss von Diez ist, dass er die Aussagen des Erzählers für seinen Zweck kürzt und zudem als Aussage des Autors gleichsetzt. Diez stellt seinen eigenen Fehler im Text deutlich zur Schau: "Eine Spalte öffnet sich in diesem Satz. Unter der Oberfläche raunt es: Deutschlands rechtmäßiger 'Ehren- und Vorsitzplatz'? Wer spricht da? Wer sagt, dass dieser Platz rechtmäßig sei? Wer denkt so? Durch den schönen Wellenschlag der Worte scheint etwas durch, das noch nicht zu fassen ist. Das ist die Methode Kracht." Dieser merkwürdige Umgang wurde dem Kritiker Diez zum Verhängnis und in der darauffolgenden Diskussion schnell richtig gestellt. Das Buch selbst wurde dabei fast zur, wie immer beim Spiegel dennoch verlässlich den Buchverkauf fördenden, Fußnote, denn die Debatte war geprägt von der Frage "Was darf Literaturkritik?", ausgelöst durch die Reaktion des Verlages auf den Spiegelartikel, der die Grenzen der Literaturkritik sprengen würde. Dennis Scheck gab zu verstehen: "Für mich zählt zunächst mal einfach das Ästhetische, die Hervorbringung des Romans 'Imperium' [...]", Jakob Augstein verdeutlichte, dass Schriftsteller keine Sozialkundelehrer seien, und Felictias von Lovenberg schlussfolgerte auf FAZ.net schlicht und einfach: "Am billigsten aber ist es immer noch, einen Schriftsteller persönlich in Verruf zu bringen". Was in aller Deutlichkeit fehlte, war die Frage, in welchem Zusammenhang die Diez-Kritik mit dem Spiegel-Titel "Nazi-Partei: Verboten Gefährlich" steht und welche publizistische Dramaturgie sich dahinter verbirgt, welche das Urteil zu "Imperium", säuerlich aufstoßend, verstärkte. Zudem wird man das Gefühl nicht los, dass der neue Roman von Kracht die Möglichkeit dargestellt hat, eine lang ersehnte Abrechnung zu verfassen. Endlich also! Denn es ist nicht das erste Mal das Diez den Schriftsteller Kracht in dieser Form angreift. Bereits 2007 attestierte er in dem Zeit-Artikel "Gift liegt in der Luft" den Arbeiten von Jonathan Meese, Stefan Bachmann, Ingo Niermann und eben Christian Kracht einen "Poptotalitarismus". Kracht selbst scheint sich über diese Form der Unterstellung oftmals im Klaren zu sein, auch wenn die derzeitige Dikussion in ihrer Wucht kaum auszuhalten ist. In einem Interview mit dem Tagesspeigel aus dem Jahr 2000 antwortet er auf die Frage: "Vielleicht liegt es an Ihren zuweilen kryptischen Äußerungen, dass man Ihnen praktisch alles andichten kann - bis hin zur Nähe rechtsextremer Positionen" mit der Ahnung: "Da haben Sie Recht. Die Projektionsfläche ist sehr weit offen: Pädophilie, Nazis, Heroin, Satanismus, alles." Damals verstörte "Tristesse Royale" die Kritik. Jene Gesprächsrunde, welche die gestellte Sinnfrage "Was die Welt im Innersten zusammenhält" durch die überhöhte Verwendung von Klischees und Kitschelementen ausgehölt hat. Und diese Ironie, diese Aushölung, Krachts camping, wird in den Kommentaren schließlich, denn es ist Sonntag, zum abschließenden Argument für die erregten Gemüter, indem man abermals den Faden seit "Faserland" abrollt. Oder man begegnet dem Ganzen so wie in der redaktionellen Notiz aus der FAS. Anlass ist der offene Brief an den Spiegel: "Wir haben, da der Brief ja auch an uns ging, sofort geantwortet: dass wir im Moment nirgendwo eine Gefahr für Ironie, Fiktion und die sogenannte literarische Phantasie erkennen könnten. Dass wir aber, falls wirklich Gefahr drohe, selbstverständlich auf der Seite der Unterzeichner für Freiheit und Ironie kämpfen würden. Und zwar an vorderster Front. Aus dem Verlag kam eine automatische Abwesenheitsmeldung: 'Wir feiern Karneval! Allen Jecken und Nicht-Jecken schöne Tage und Kölle Alaaf!' Na dann". Peter Richters Prophezeiung versiegt nach einer Woche voller Gerumpel in einem Alaaf, vielleicht in einem Moment, wenn sich die maskierten Befürworter und Gegner gerade irgendwo unwissentlich gegenübertreten und zum Tanz auffordern.
Was bleibt?
Es bleibt die Frage, ob das vermeintliche 'Vergehen' Krachts – und natürlich David Woodards, der eine Schlüsselrolle zu besetzen scheint – in dem andersartigen, für viele respektlosen, rein ästhetischen, Umgang mit historischen und politischen Themen begründet liegt. Gibt es doch das Tabu, für das man das richterliche Gutachten "Kunst" braucht? Oder hätte eben jener Paratext genügt, der das erste Mal bei einem Kracht-Roman fehlt: "Alle hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind, von den gelegentlich erwähnten Personen des öffentlichen Lebens abgesehen, frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist völlig unbeabsichtigt."
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